Das Leben ist Ausland

Der Leiter der serbischen Nationalbibliothek Sreten Ugričić unterzeichnete als Mitglied des Belgrade Writers‘ Forum einen öffentlichen Brief, in welchem die öffentliche Diffamierung des Montenegrinischen Schriftstellers Andrej Nikolaidis kritisiert wurde. Daraufhin wurde er von der serbischen Regierung der Mithilfe an terroristischen Machenschaften beschuldigt und fristlos aus seinem Amt als Direktor der Serbischen Nationalbibliothek entlassen.

 

Sreten Ugričić, Schriftsteller, Philosoph, Astronom, Konzeptkünstler, bis vor kurzem Leiter der serbischen Nationalbibliothek, las im vergangenen Dezember, am St. Nikolaustag, im Zürcher Theater Neumarkt. Er stellte seinen Essay „Das Leben ist Ausland“ vor, den er für die Leipziger Buchmesse 2011 geschrieben hatte. Vorstellen, das klingt trocken, langweilig, das Gegenteil davon ist wahr. Es war ein geistreicher, anregender Abend. Das Zürcher Publikum agierte ungewohnt, es beteiligte sich rege, wurde nicht müde, obwohl der Abend schlussendlich zweieinhalb Stunden dauerte. Nach Sretens Besuch habe ich mich umgehend entschieden, eine neue Veranstaltungsreihe ins Leben zu rufen, mit dem Titel „Das Leben ist Ausland“. Ich habe Sreten geschrieben, ihm mitgeteilt, dass ich ihn, als Namensgeber meiner neuen Reihe, auch gern als ersten Gast einladen würde, diesmal, um seinen Roman „An den unbekannten Helden“ vorzustellen. Er antwortete mir mit folgender mail: „Last few days I am in all media here, main news, because my Government wants to kick me out from the library. Minister of Police (who was in nineties among the closest assistants of Slobodan Milošević) yesterday told to journalist that I must be put in prison immediately because I support the assassination on our president Tadić. What can I tell you.“

Natürlich habe ich überhaupt nichts begriffen. Zurückzuschreiben, zu fragen, das war unmöglich. Die Hektik und Dringlichkeit in diesen wenigen Zeilen verrieten, dass Sreten sich um anderes kümmern musste, als um mich, meine Besorgnis, meine Frage, was genau geschehen war. Ich fing an, wie verrückt im Internet zu suchen, nach seinem Namen, und ich wurde fündig: Ein paar Stunden nach Sretens mail konnte ich auf einer website lesen, dass er inzwischen als Direktor der Nationalbibliothek entlassen worden war. Nach einer dringlichen Telefonkonferenz der Regierung sei dieser Beschluss gefasst worden, hiess es. Dass der Kulturminister, der einzige, der wohl für Sreten eingetreten wäre, an der Konferenz nicht beteiligt war, habe ich erst später erfahren.

Wie ist es also dazu gekommen, dass man Sreten entlassen hat, der während Jahren die Nationalbibliothek so geleitet hat, dass sie mittlerweile eine internationale Reputation geniesst? Dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von ihm sagen, er habe nicht nur technische Erneuerungen initiiert, sondern die Zusammenarbeit und den Dialog grossgeschrieben und gefördert?

Aus Anlass des zwanzigjährigen Bestehens der „Republika Sprska“, eines Teilstaats Bosniens, wurde am 9. Januar eine feierliche Veranstaltung in Banja Luka angesetzt. Politische Repräsentanten der Republik Serbien, Präsident Boris Tadić, Premierminister Mirko Cvetković und Innenminister Ivica Daĉić, kamen nach Banja Luka, um an den Feierlichkeiten teilzunehmen. Am Vorabend entdeckte die Polizei im Kellergeschoss der Sporthalle, in der die Veranstaltung geplant war, ein Arsenal von Waffen, Munition und Sprengstoff.

Der montenegrinische Parlamentarier und Autor Andrej Nikolaidis schrieb am 11. Januar in einem online Medium einen polemischen Kommentar zu diesem Anlass, ironisch könnte man ihn auch nennen, stellenweise sogar unüberlegt. Mit Blick auf die  Entstehungsgeschichte der „Republika Srpska“, die auf Mord und Vertreibung beruhe, stellt Nikolaidis die Frage, ob man, falls der Sprengstoff explodiert wäre, dies nicht als „zivilisatorischen Fortschritt“ betrachten könnte. Die Belgrader Presse, allen voran die regierungsnahe „Politika“, zitierte genau diesen einen Satz aus Nikolaidis Text (der übrigens auf www.e-novine.com nachzulesen ist), von dem sie sicher sein konnte, dass die Öffentlichkeit empört, ja hysterisch darauf reagieren würde. Das zu Erwartende trat ein, die aufgeheizten Schlagzeilen übertrafen sich, Nikolaidis wurde als Terrorist gehandelt.

Aufgrund dieser Hetze sah sich das „Forum of Writers“ dazu veranlasst, einen Aufruf zu veröffentlichen, in dem entschieden für die freie Meinungsäusserung eingetreten wurde und damit auch für den persönlichen Schutz von Nikolaidis. Die „Fatwa“ der Medien gegen Nikolaidis müsse aufgehoben werden, heisst es. Stattdessen solle sein Text im Wortlaut publiziert werden, damit sich die Leser selbst ein Bild davon machen könnten. Diesen Aufruf hat auch Sreten Ugriĉić unterschrieben und damit nahm die Medienhetze eine neue Richtung; das Boulevardblatt „Press“ titelte: „Das gibt es nur in Serbien: Nationalbibliothekar unterstützt Ermordung von Präsident Tadić“.

Die Reaktion von einigen Mitgliedern der serbischen Regierung folgte unmittelbar: Sreten müsse als Direktor der Nationalbibliothek sofort zurücktreten. Dem Innenminister Ivica Daĉić reichte das nicht. Er plädierte dafür, dass man Sreten ins Gefängnis werfen solle, weil er den Terrorismus unterstütze - Ivica Daĉić, der übrigens während der letzten Jahre von Miloŝevićs Herrschaft Vorsitzender der Sozialistischen Partei war, sich nie öffentlich und explizit von den Entscheidungen, welche die politische Elite des serbischen Staates zu dieser Zeit getroffen hatte, distanziert oder dafür irgendwelche Verantwortung übernommen hat.

Warum, so kann man sich fragen, wird dem Leiter der Nationalbibliothek so viel unliebsame Aufmerksamkeit zuteil?

Sreten wurde vor zehn Jahren von Zoran Djindjic zum Direktor der Nationalbibliothek berufen. Er blieb, auch nach dessen Ermordung, im Amt, modernisierte die Bibliothek, machte sie, wie bereits erwähnt, zu einer angesehenen, gut besuchten kulturellen Institution. Angefeindet wurde er ständig, stetig. Und dies sicher auch, weil seine Reden und literarischen Texte elektrisieren, die Worte vor Energie leuchten - das, was das Zürcher Publikum sofort bei seiner Anwesenheit gespürt hat: Hier spricht einer, der scharf denkt, kritisch ist gegenüber jeder Form von Macht, fähig ist, die Dinge anders, das heisst, neu zu denken. Sretens Poetik, die ausserdem einer tiefen Menschlichkeit verpflichtet ist, indem sie den Menschen für mündig erklärt. Ja natürlich, das ist die grösste Gefahr für alle autoritären, zynischen Köpfe, die Wörter wie Demokratie, Verfassung, Freiheit missbrauchen, um im gleichen Atemzug einen Menschen als Terroristen zu verhetzen, der mit seiner Arbeit, seinem Denken nichts anderes getan hat als für ein freies, offenes Serbien einzutreten.

In einer öffentlichen Rede im Belgrader Kulturzentrum sagte Sreten: „A warning to the police from a library terrorist: in the hall of the CCB there will be an explosion – not of a bomb, but of all of us present. And we shall win. Because, as you know: whoever attacks writers with a nightstick is defeated and hated from the start; while the one who reads – wins!“

 

Nachtrag (6. März 2012):

Obwohl zahlreiche Institutionen und Einzelpersonen gegen den Beschluss der serbischen Regierung protestiert haben, obwohl etliche internationale Medien (NZZ, Süddeutsche Zeitung, la liberté, DRS 2, website der Biennale Berlin etc.) berichtet haben, wurde der Entscheid nicht rückgängig gemacht. Bereits wenige Tage nach Ugriĉićs Entlassung fing dessen Nachfolger mit seiner Arbeit an. Sreten selbst hat mittlerweile bei der Nationalbibliothek einen marginalen Job bekommen - die Regierung war gesetzlich dazu verpflichtet, ihm in der Bibliothek eine neue Arbeit anzubieten - in seinem Büro an der Peripherie der Bibliothek muss Sreten miterleben, wie zahlreiche, von ihm initiierte Projekte rückgängig gemacht, seine engsten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen werden. Die Situation ist für Sreten so unerträglich geworden, dass er beschlossen hat, längere Zeit im Ausland zu leben und zu arbeiten. Von der Landis & Gyr Stiftung in Zug und vom Zürcher Literaturhaus hat er ein Aufenthaltsstipendium erhalten, das heisst, ab Mitte März wird Sreten für mehrere Monate in der Schweiz sein.

 

Veröffentlicht in: die Süddeutsche, 31.1.2012