Luisa Amrein hatte damals eine grüne Haarschleife bekommen. Sie passte gut zu ihrem Haar, das lang und blond war. Sie erinnert sich, wie sie sich vorzustellen versuchte, wie sie mit der Haarschleife aussieht. Vielleicht bemerken heute alle ihr Haar, sie trägt es absichtlich in Fetzen. Damals sah sie ihren Hinterkopf mit der grünen Schleife und es konnte ihr nicht so recht gefallen.

Damals war 1977. Luisa schob einen Kiesel über die Strasse und überlegte, wie sie mit der Schleife schön sein kann. Später sah sie im Fernsehen Frauen, die schnell und fröhlich liefen, ihre Haare wippten dabei. So hatte sie sein wollen.
Im Frühling schnitt ihr Herr Zamboni die Haare. Sein Hund schlief im Schaufenster, in dem ein Foto mit Haarschnitt hing. Immer hielt Luisa Ausschau nach Hunden in Schaufenstern. Als sie Jahre später in Wien einen entdeckte, liess sie sich die Haare schneiden. Luisa fühlte sich glücklich im Friseurstuhl, sie schloss die Augen, dachte an Herrn Zamboni und seinen Hund, der leise vor sich hin pfiff. Wenn Luisa jetzt einen Hund im Schaufenster sieht, lässt sie sich die Haare nicht mehr schneiden, weil sie die Haare in Fetzen trägt.
Du hast ein schönes Kleid, sagte Herr Zamboni. Das Kleid hatte kleine Blumen. Luisa freute sich. Er schnitt ihr das Haar bis zu den Ohren, so hatte sie es gewünscht. Was wird mit deiner Haarschleife, fragte er. Ich schenke sie meiner Puppe.
Die Puppe sitzt immer noch auf dem Sofa, mit hellen Augen und ausgebleichter Haarschleife, Herr Zamboni ist vor einem Jahr gestorben.
Herr Zamboni hielt ihr den Spiegel hinten an den Hals und fragte, was ist das. Luisa schaute sich die Frisur an und sagte, mein Kopf ist wie ein Ball. Herr Zamboni zeigte auf die roten Streifen am Hals.
1977 begann die Schule. Vor der Schule gab es im Frühling im Boden viele Würmer. Luisa hatte gelernt: ein zweigeteilter Wurm lebt weiter. Sie wollte es versuchen und mit einer kleinen Schere halbierte sie die Würmer. Manchmal aber bewegte sich ein Teil des Wurmes nicht mehr. War es der hintere oder der vordere Teil.
An Luisas Kommunion ass die Tante Schnecken und Luisa fragte, ob die Häuser weiterlebten. Mein Dummes, lachte die Tante und hatte eine halbe Schnecke im Mund. Inzwischen ist die Tante verschollen. Auch sie hatte einen Hund. Er brach sich beim Lampf mit einem grösseren Hund den Kiefer und von da an hing seine Zunge aus dem Maul. Mein erschöpfter, kleiner Hund, sagte die Tante und weinte. Vielleicht liegt die Tante irgendwo am Strand und isst Schnecken.
Wieso 1977.
Herr Zamboni stellte Fragen. Er streichelte Luisa das Haar und rief seinen Hund. Luisa hatte Herrn Zamboni nicht verstanden und konnte nichts antworten. Es dampfte und pfiff aus der kleinen Küche nebenan. Herr Zamboni liebte schwarzen Tee. Der kommt von sehr weit her, sagte er oft. Und meistens erzählte er dann. Es begann immer mit, zweimal war ich weit weg gewesen, und Herr Zamboni streichelte seinen Hund. Luisa hörte ihm gerne zu.
Es verstrich die Zeit, bis Luisa sich an jenen Frühlingstag bei Herrn Zamboni erinnerte. Im Pfarreizentrum sah sie ein Plakat. Eine weiss gekleidete Frau hatte ihre Hand auf einem schwarzen Kind. Die ganze Klasse verkaufte Nüsse und Bananen für die Kinder, die sehr mager waren. Der Pfarrer sagte, es ist unrecht, wenn die Kinder Not leiden. Das hatte Herr Zamboni auch gesagt. Seither mochte Luisa Bananen und Nüsse.
Wie kam es dazu.
Auf ihrem Schulweg passte Sonja Schuhmacher Luisa ab. Sonja war älter und stark. Später sahen sie sich wieder. Sonja trug eine Uniform, einen Hut und feste Schuhe. Nachdem sie sich eine Weile angeschaut hatten, verabschiedeten sie sich. Luisa lief ein paar Mal durch die Drehtür des Warenhauses, bevor sie ins Freie trat und so lange auf einen Briefkasten schaute, bis eine alte Frau sich neben sie hinstellte und von ihrer Tochter in Chile erzählte.
Damals drückte Sonja Luisa die Hände auf den Rücken und entführte sie zum Waldrand. Sie wehrte sich nicht, als Sonja ihr die Hände fesselte und das T-Shirt zerriss. Luisa war aufgeregt. Es galt als Ehre, von Sonja Schuhmacher entführt zu werden. Da sagte Sonja, während sie die Fesseln löste, du hast Streifen auf dem Rücken, damit habe ich nichts zu tun, und lief davon. 


Roman
168 Seiten
vergriffen!


Zürich 2004
Ammann Verlag
ISBN 3-250-60073-3
www.ammannverlag.ch