Die Radiojournalistin & Sachbuchautorin Ina Boesch über Melinda Nadj Abonji

Ihr klangvoller Name, sozusagen ein Dreisprung, verweist auf Ihre Herkunft: Melinda Nadj Abonji stammt aus der Vojvodina, jener Gegend in Ex-Jugoslawien, in der eine Ungarisch sprechende Bevölkerung sich gegen die serbische Mehrheit zu behaupten hat. Sie ist mehrsprachig aufgewachsen, mit Ungarisch und – nach ihrer Migration in die Schweiz – mit (Schweizer-)Deutsch. Diese sprachliche Vielfalt hat die Künstlerin geprägt. "Ich würde mich gern als Dichterin bezeichnen, mir gefallen die Worte dicht, nicht ganz dicht sein, dichten, andichten. Als Mehrsprachige bin ich nicht ganz dicht, poetisch gesagt bin ich durchlässig für Fragen, die sich oft nicht beantworten lassen."

Diese Durchlässigkeit zeigt sich auch in Ihrem künstlerischen Ausdruck: Melinda Nadj Abonji ist nicht nur Dichterin, sie ist auch Musikerin, und sie ist Textperformerin. Alles zusammen und nie nur das eine ohne das andere, denn die Ausdrucksweisen sind eng miteinander verwebt: Sprache ist Musik, und Musik ist Sprache. Wer sich überzeugen lassen will, dass Sprache Musik ist, lese Melinda Nadj Abonjis ersten Roman "Im Schaufenster im Frühling". Hellhörig vernimmt man die Rhythmen einer scheinbar einfachen Komposition: das Stakkato knapper Sätze, die Refrains eingängiger Weisen, den strengen Takt. Wer umgekehrt erfahren will, dass Musik Sprache ist, höre sich eine Performance der Künstlerin als Spoken Word Artist und Geigerin an. Buchstäblich sieht man, wie der Text gearbeitet ist, erkennt die einzelnen Bausteine der Dichtung, die Syntax, die Wiederholung.

Sprache ist Musik, und Musik ist Sprache – Melinda Nadj Abonji verkörpert diese Erkenntnis in einem besonderen Mass. Man glaubt ihr, dass sie ihren Rhythmus gefunden hat, wie die Künstlerin von sich selbst sagt: Sie ruht in sich, auch wenn die 1968 Geborene noch weit entfernt ist von einer altersweisen Gelassenheit. Der swingende Rhythmus – dominiert von Wiederholung und Pause – ist das Herzstück ihres Seins, aber auch die Grundlage ihrer Arbeit. So wird die Form ihres Romandebüts "Im Schaufenster im Frühling" musikalisch definiert, durch das Ritornell, das Spiel mit der Wiederholung. Und so setzt sie in ihren Performances – die sie meist mit dem Rap-Lyriker und Beat Boxer Jurczok 1001 gibt – häufig den Loop ein: Textfragmente, Melodiefetzen, Geigenklänge werden live aufgezeichnet und mit dem Loop-Pedal zu einem Orchesterklang gemischt, dessen bestimmendes Element die Wiederholung ist.

Die Wiederholung ist ein wichtiger Bestandteil der Erzählkunst. Diese lernte Melinda Nadj Abonji von ihrer Grossmutter, bei der sie als Kind wohnte. Die alte Frau konnte der Kleinen nicht viel Luxus bieten (es gab kein warmes Wasser, und die Toilette befand sich ausserhalb des Hauses), wohl aber die hohe Kunst des mündlichen Ausdrucks. Ihrer Grossmutter habe sie alles zu verdanken (...).